Anschuldigen, anprangern, anstacheln: deutsche extremistische Reaktionen auf den Israel-Hamas Konflikt
Von Michel Seibriger
23. November 2023
Dieser Dispatch ist auch in Englisch erschienen.
Nach dem Terroranschlag der Hamas am 7. Oktober und dem anschließenden Konflikt zwischen Israel und der Hamas haben eine Vielzahl extremistischer Akteur:innen sowie Verschwörungsideolog:innen in Deutschland den Konflikt für ihre eigenen Ziele ausgenutzt – ein Trend, der nicht nur in Deutschland zu beobachten ist[1]. In Deutschland hat ein breites Spektrum bestehend aus Rechts-, Links- und islamistischen Extremist:innen sowie Verschwörungsideolog:innen auf die Krise reagiert. Diese Akteure schürten dabei Hass gegen Minderheitengruppen, befürworteten Gewalt und verbreiteten Desinformationen über den Konflikt.
Dieser Artikel analysiert Online-Reaktionen von Akteur:innen, die von den zuständigen Behörden als extremistisch eingestuft werden, in den ersten drei Wochen nach dem Attentat der Hamas. Dabei ist zu beachten, dass nicht alle analysierten Reaktionen nach Definition des ISD zwangsläufig extremistisch sind. Diese Analyse untersucht auch das Offline-Gefahrenpotenzial ausgehend von den digitalen Reaktionen extremistischer Gruppierungen in Deutschland.
Trends und Narrative
- Die Alternative für Deutschland (AfD), die vom Verfassungsschutz bundesweit als Verdachtsfall, und in zwei Fällen auf Landesebene als gesichert rechtsextrem eingestuft wird, hat ihre Solidarität mit Israel zum Ausdruck gebracht, und gleichzeitig muslimfeindliche Äußerungen und Phrasen verbreitet. Insgesamt hat sie jedoch bisher keine einheitliche Linie vertreten.
- In Bezug auf die israelische Regierung und pro-palästinensische Demonstrant:innen haben andere rechtsextreme Gruppen mit einschlägigen antisemitischen[2] bzw. muslimfeindlichen Parolen und Narrativen reagiert.
- Linksextreme Gruppen brachten unmittelbar nach den Anschlägen ihre Solidarität mit dem palästinensischen Befreiungskampf zum Ausdruck. Das Samidoun-Netzwerk etwa feierte die Gewalt der Hamas, indem es Süßigkeiten in Berlin-Neukölln verteilen ließ und diese Geste auch in den sozialen Medien teilte.
- Einige islamistische-extremistische Gruppen in Deutschland billigten die Gewalt der Hamas. Sie kritisierten die deutsche Regierung scharf für Eingriffe in die Versammlungs- und Meinungsfreiheit sowie für angebliche Polizeigewalt, insbesondere in Berlin.
- Verschwörungsideog:innen haben Desinformationen verbreitet, die die offizielle Darstellung des Anschlags vom 7. Oktober in Frage stellten, einschließlich der Behauptung, die israelische Regierung habe im Voraus von dem Angriff gewusst, oder der Behauptung, es handele sich um eine Verschwörung des “tiefen Staates”.
Reaktionen von Rechtsextremist:innen
Fremdenfeindliche und antimuslimische Reaktionen von rechtsextremen Parteien und Gruppen; AfD ohne klare Positionierung
Die vielfältige rechtsextreme Landschaft in Deutschland[3] hat die Krise in Israel genutzt, um die politische Debatte weiter zu polarisieren und den Hass gegen Muslime zu schüren. Die AfD sowie andere rechtsextreme Parteien (“Junge Nationalisten”, “Junge Alternative”, “III. Weg”), Medien (Compact) und “Influencer” (Nikolai Nerling, ein verurteilter Holocaust-Leugner und selbsternannter “Volkslehrer”) sind relevante Fallstudien für diese Reaktionen.
Die AfD hat sich schwergetan, eine einheitliche Position zur Krise in Israel und Gaza zu finden. Innerhalb der AfD-Führung gab es öffentliche Meinungsverschiedenheiten über die Form und den Ton der Reaktionen auf den laufenden Konflikt. Während der Fraktionsvorsitzende Tino Chrupalla auf der Plattform X zur Diplomatie aufrief und seine Trauer um “alle, die in diesem Krieg gestorben sind” zum Ausdruck brachte, widersprach sein Stellvertreter Norbert Kleinwächter öffentlich und betonte das Engagement der AfD im Kampf gegen den “islamistischen Terror”. Gleichwohl kritisierte die Junge Alternative (JA) in Baden-Württemberg in einem Tweet, der mehr als tausend Mal geteilt wurde, die uneingeschränkte Unterstützung Deutschlands für Israel und erklärte, sie stehe “in erster Linie zu Deutschland”. Laut der JA stehe dies im Gegensatz zu dem Aufruf der Jugendpartei der CDU, „in erster Linie an der Seite Israels” zu stehen.
Die AfD wollte Mitte Oktober über ein Positionspapier abstimmen, in dem sie diese unterschiedlichen Auffassungen miteinander in Einklang bringt. Bis zum jetzigen Zeitpunkt wurde jedoch noch kein solches Papier veröffentlicht.
Auch wenn die offizielle Parteiposition der AfD umstritten ist, sind die Reaktionen der Partei auf die Krise durchweg von rassistischer Rhetorik geprägt. Sven Tritschler, der stellvertretende Vorsitzende der nordrhein-westfälischen AfD-Landtagsfraktion, fragte in einem Facebook-Video, das zehntausende Likes erhielt, rhetorisch, warum pro-palästinensische Demonstrant:innen “und ihre ‘palästinensische’ Sippe nicht dorthin zurückgehen, wo sie herkommen”. In dem Beitrag wurde nicht unterschieden, ob es sich bei den Demonstrierenden um deutsche Staatsbürger:innen handelte oder nicht.
Ein Bundestagsabgeordneter ging sogar so weit, dass er im Berliner Bezirk Neukölln am Ort einer verbotenen Demonstration Interviews mit irreführenden Methoden durchführte, um emotionale Aussagen der Demonstrierenden zum Krieg zu provozieren.
Der Abgeordnete gab seine Zugehörigkeit zur AfD nicht preis und gab sich stattdessen bei diesen Interviews als echter Reporter aus. Er fragte beispielsweise, ob die Demonstranten Gewalt gegen die Polizei billigten. Der AfD-Politiker hatte in den sozialen Medien bereits zuvor häufig konspirative Rhetorik geäußert, wie z. B. seine Unterstützung für die “Remigration”, ein euphemistischer Begriff für die Zwangsabschiebung von Migrant:innen. Dieser Begriff wird häufig mit der Verschwörungserzählung eines “Großen Austausch“ in Verbindung gebracht.
Islamophobie und antiisraelische Reaktionen rechtsextremer Akteur:innen
Neben der AfD haben mehrere prominente Persönlichkeiten der deutschen extremen Rechten Israel gleichzeitig als “Terrorstaat” bezeichnet und pro-palästinensische Demonstrationen in Deutschland verunglimpft. Einschlägige Beispiele für diese Reaktionen liefern der selbsternannte “Volkslehrer” Nikolai Nerling, das rechtsextreme Magazin “Compact” und rechtsextreme Parteien wie “Der III. Weg” und die “Jungen Nationalisten.”
Nerling, der 2022 in zwei Fällen wegen Volksverhetzung verurteilt wurde und für seine antisemitischen und den Holocaust leugnenden Ansichten bekannt ist, konzentrierte sich darauf, Israel als “Terrorstaat” zu bezeichnen, der “gestoppt” werden müsse. Er retweetete mehrere Beiträge der rechtsextremen Partei “Der III. Weg”, die in die gleiche Kerbe schlägt. Obwohl sie den Hashtag #freepalestine benutzte, kündigte die extremistische Partei später an, sie werde sich erst dann uneingeschränkt mit den Palästinensern solidarisieren, wenn die “von Arabern besetzten deutschen Gebiete befreit” seien, womit sie implizit rassistische Behauptungen im Sinne der Verschwörungserzählung eines „Großen Austausch“ aufgriff. Gleichzeitig forderten die “Jungen Nationalisten”, die Jugendorganisation der extremistischen Partei “Die Heimat” (früher die Nationaldemokratische Partei Deutschlands, NPD), am Tag des Hamas-Anschlags in einem Tweet die Verhängung von Sanktionen gegen Israel.
“Nicht unser Krieg” und Verschwörungserzählungen über angebliche Vorkenntnis des Anschlags
Das rechtsextreme Magazin Compact, das vom Verfassungsschutz als “gesichert rechtsextrem” eingestuft wird, reagierte auf den Konflikt in Israel, indem es mehrere Verschwörungserzählungen auf seinem YouTube Kanal verbreitete. Diese Videos wurden unter anderem von dem verschwörungsideologischen Influencer Oliver Janich sowie den Reichsbürgern nahen Accounts auf Telegram geteilt.
Compact behauptet weiterhin (indem es ein verjährtes Video wieder hochlud), Israels nukleare Fähigkeiten seien erst durch deutsche Unterstützung ermöglicht worden, und schürte damit die Befürchtung, eine nukleare Eskalation könne zu einem dritten Weltkrieg führen. Ein weiteres Compact-Video mit dem Titel “Israel: nicht unser Krieg” (mit über 67.000 Aufrufen) wurde von der rechtsextremen Kleinpartei “Freie Sachsen” auf Telegram geteilt. Darin verwendete sie dasselbe “Deutschland zuerst, dann der Rest der Welt”-Framing wie die “Junge Alternative” in Baden-Württemberg auf X sowie eine Reihe anderer rechtsextremer Accounts auf Facebook in den Wochen nach dem Hamas-Anschlag.
Das Compact-Video behauptet, dass “Israel ohne diesen Angriff niemals in der Lage gewesen wäre, diese Bodenoffensive vorzubereiten, was die Frage aufwirft, ob die ganze Sache inszeniert war”. In einem Telegramm-Video, das fast 45.000-fach aufgerufen wurde, wiederholte Martin Sellner, der ehemalige Vorsitzende der Identitären Bewegung Österreich, die Behauptung, Israels Casus Belli sei inszeniert gewesen, indem er den Hamas-Angriff als “völlig unbedeutend” bezeichnete, während dieser Israel die Möglichkeit gegeben habe, mit voller Wucht zurückzuschlagen. David Berger vom rechtsextremen Blog Philosophia Perennis ging noch einen Schritt weiter und warf die Frage auf, ob es sich bei dem Überraschungsangriff der Hamas möglicherweise um eine Operation des “tiefen Staates” und nicht um ein Versagen der Geheimdienste gehandelt habe.
Reaktionen von linksextremen Gruppierungen
Solidarität und gemischte Reaktionen in der deutschen extremen Linken
Die Reaktionen der deutschen Linksextremist:innen[4] auf die sich entwickelnde Krise in Israel waren unterschiedlich. Einige Organisationen brachten unmittelbar nach dem Anschlag ihre Solidarität mit der palästinensischen Sache zum Ausdruck, forderten Freiheit für Palästina und wiesen auf den Zusammenhang zwischen der israelischen Besatzungs- und Siedlungspolitik und der Vertreibung der Palästinenser hin. Samidoun, das “Palestinian Prisoner Solidarity Network”, machte Schlagzeilen, weil es die Gewalttaten der Hamas entschuldigte und verherrlichte. Die Reaktionen anderer linksextremer Organisationen auf die Gewalt der Hamas waren zurückhaltender und reichten von der Nichtnennung der Terrororganisation bis hin zu ihrer ausdrücklichen Verurteilung in öffentlichen Erklärungen.
Anonyme Nutzer:innen der deutschen Linksseite Indymedia – einer Website, die vom deutschen Verfassungsschutz als “linksextremistisch” eingestuft wird – haben mehrere Blogposts veröffentlicht. Auf der Seite finden sich häufig Gewaltaufrufe und Äußerungen von Personen, die sich zu extremistischen Anschlägen bekennen wollen. Auf der “Open Posting”-Website war ein Beitrag mit dem Titel “Offizielle Erklärung der grenzenlosen und transnationalen Linken und Anarchisten” zu finden, der am 19. Oktober veröffentlicht und für diesen Artikel zuletzt am 20. November aufgerufen wurde. Darin heißt es, man verurteile “zutiefst die brutalen Verbrechen der Hamas gegen israelische Zivilisten” und behaupte gleichzeitig, Israels Siedlungspolitik und die Vertreibung der Palästinenser sei “ein wesentlicher Grund für den Konflikt, den wir jetzt erleben”.
Die Erklärung drückte Solidarität mit israelischen und palästinensischen Oppositionsgruppen aus, die “gegen kapitalistische Kriege, Besatzung, Wehrpflicht […]” kämpften, ebenso wie die “internationalistische Linke”. Damit spiegelte sie die allgemeine antimilitaristische Stimmung wider, die für linksextreme und antiimperialistische Gruppen wie das Bündnis “Perspektive Kommunismus” charakteristisch ist, das am 19. Oktober eine ähnliche Erklärung veröffentlichte. Ein anderer anonymer, ausführlicher Blogbeitrag auf Indymedia rief pro-palästinensische Unterstützer:innen dazu auf, sich von der Hamas zu distanzieren, während er gleichzeitig Israel als “Kindermörder” bezeichnete und behauptete, das Land unterschieden sich nicht wesentlich von der Hamas.
Samidoun, das “Palästinensische Gefangenensolidaritätsnetzwerk”[5], sorgte am Tag des Hamas-Anschlags mit einem Beitrag auf Instagram für Empörung, der zeigte, wie Mitglieder der Gruppe im Berliner Bezirk Neukölln Süßigkeiten verteilten, um “den Sieg des Widerstands zu feiern”. Die Gruppe setzt sich regelmäßig für die Freilassung von Gefangenen in Israel ein, die Verbindungen zur säkularen PFLP (“Volksfront zur Befreiung Palästinas”) haben, die von der EU als Terrororganisation eingestuft wird. Infolge der Ankündigung, Samidoun solle verboten werden, veröffentlichte die Gruppe eine Erklärung, in der sie diesen Schritt scharf kritisierte. Sie postete eine Reihe von Videos, die angeblich brutales Vorgehen der Polizei in Berlin während pro-palästinensischer Demonstrationen zeigten.
Das Netzwerk teilte ebenfalls einen Beitrag, der, zwei Tagen nach dem Angriff am 7. Oktober, über tausend Mal auf Telegram aufgerufen wurde. Darin wurde der “Sieg der Intifada” verkündet und behauptet, der “Widerstand habe dem zionistischen Kolonialregime schwere Schläge versetzt”.
Reaktionen von islamistischen Extremist:innen
Die Reaktionen der islamistischen Extremist:innen: Empörung über die Reaktionen der Bundesregierung und Anschuldigungen von Doppelmoral
Deutsche islamistische[6] Extremistengruppen brachten überwiegend ihre Unterstützung für die Palästinenser:innen zum Ausdruck, wobei der Grad der Unterstützung von Solidaritätsbekundungen mit dem “Befreiungskampf” bis hin zur direkten Billigung der Gewalt der Hamas oder (indirekten) Aufrufen zur Gewalt reichte. Die Reaktionen der Gruppen “Muslim Interaktiv” und “Generation Islam” stehen stellvertretend für diese Bandbreite an Reaktionen. Beide Gruppen werden vom deutschen Verfassungsschutz als ideologisch nah an der verbotenen Organisation “Hizb ut-Tahrir” eingestuft.
Weder „Muslim Interaktiv“ noch „Generation Islam“ verurteilte die Angriffe der Hamas explizit oder äußerte Mitgefühl mit den 1.200 Israelis, die am 7. Oktober ermordet wurden. Beide Gruppen kritisierten jedoch die zivilen Opfer der militärischen Reaktion Israels auf die Anschläge sowie die angebliche “staatliche Unterdrückung” und die Verletzung des Grundrechts der Meinungsfreiheit in Deutschland infolge der Anschläge. Der Kanal Muslim Interaktiv prangerte in einer Reihe von YouTube-Kurzfilmen, von denen viele auch auf Instagram geteilt wurden, die “Doppelmoral” des Westens inmitten der Krise an.
In einem Beitrag mit ~1,8K Aufrufe auf YouTube und 3,8K Likes auf Instagram beschuldigte Muslim Interaktiv die Präsidentin der Europäischen Kommission, Ursula von der Leyen, der Heuchelei, da sie die Unterbrechung der Strom- und Wasserversorgung in Russland vor einem Jahr verurteilte, aber nicht das Gleiche tat, als es darum ging, dass Israel mit einer ähnlichen Technik reagierte. In einem anderen „YouTube Shorts“-Clip, der 2.600-mal aufgerufen wurde, bezeichnet die Gruppe die deutsche Regierung aufgrund ihrer Unterstützung Israels als “Heuchler Nummer eins” und fragt spöttisch, ob sie immer noch versuche, “ihre Schuld zurückzuzahlen.” Damit spielt Muslim Interaktiv direkt auf den Holocaust an.
Sowohl Muslim Interaktiv als auch Generation Islam auf TikTok beschuldigten derweil Israel, bei seiner Militäroffensive gegen die Hamas Kriegsverbrechen begangen zu haben: Erstere verbreitete die Behauptung, die IDF hätten weiße Phosphormunition eingesetzt (was Israel bestreitet), während Letztere die IDF in einem TikTok-Video mit 7.700 Aufrufen beschuldigte, Luftangriffe auf das al-Ahli-Krankenhaus in Gaza durchgeführt zu haben. Bisherige Untersuchungen deuten derweil eher auf eine fehlgezündete palästinensische Rakete hin, wenngleich bislang nicht eindeutig nachgewiesen werden kann, wer die Rakete abgefeuert hat.
Unter den einflussreichsten TikTok-Videos von Generation Islam war etwa eines, in dem die Gruppe Israel als “koloniales Projekt” bezeichnet und das Ende der “Herrschaft der Vasallen” fordert (24,6 000 Aufrufe), sowie andere, wie der erste Teil einer vierteiligen Serie, die den “Zionismus entlarvt”, die Geschichte des “Besatzungsregimes” erforscht und westliche Medien einer “hinterhältigen Taktik” bezichtigt (18.400 Aufrufe).
QAnon-nahe Kanäle: Dritter Weltkrieg und verschiedene Verschwörungserzählungen
Verschwörungsideolog:innen haben auf die Krise in Israel reagiert, indem sie Desinformationen und Verschwörungserzählungen über die Ereignisse im Nahen Osten verbreiteten. Dabei wiederholen sie vor allem gängige antisemitische Parolen und Symbole. Seit der COVID-19-Pandemie haben diese Kanäle ihr Publikum vergrößert, insbesondere über soziale Medienplattformen wie Telegram. ISD hat sowohl die digitalen Netzwerke von Impfgegnern in Deutschland als auch die Verbreitung von Beiträgen, die den haltlosen QAnon-Verschwörungsmythos auf Facebook propagieren, analysiert.
Die Untersuchung deutschsprachiger QAnon-naher Kanäle und einflussreicher Verschwörungsideolog:innen auf Telegram gibt Aufschluss darüber, wie diese die Krise in Israel interpretieren. Während sowohl deutschsprachige “Influencer” als auch QAnon-nahe Seiten eine Reihe von Verschwörungserzählungen verbreiten, propagierten nur letztere antisemitische Symbole.
QAnon-nahe Seiten verbreiteten schnell Beiträge, die Ängste vor einer raschen Eskalation der Krise schürten, z. B. dass sie eine “unmittelbare Gefahr für Europa” sei, zudem falsche Behauptungen, dass sich die Deutschen darauf vorbereiten müssten, “für Israel zu sterben” und dass deutsche Soldaten eingesetzt werden könnten. QAnon-nahe Telegramkanäle verbreiteten die Verschwörungserzählung, dass die Krise in Israel Teil einer großflächigen Operation sei, durch einen dritten Weltkrieg eine neue Weltreligion zu schaffen. Angeblich äußerte diesen Plan erstmals der konföderierte General und Freimaurer Albert Pike in einem Brief aus dem Jahre 1871. In einem anderen Beitrag der Telegram-Influencerin Eva Hermann, der über 32.000-mal aufgerufen wurde, wird ebenfalls behauptet, der Konflikt in Israel sei der Beginn eines dritten Weltkriegs, der das Resultat des iranischen Krieges gegen den Westen sei.
Antisemitische Aussagen über eine zionistische Elite, die die Medien kontrolliert, oder über Juden, die Geld vom Westen annehmen, wurden von den diesen Kanälen häufig verbreitet. Dies zeigt sich u. a. in einer Karikatur, die auf Telegram geteilt wurde und 2.100 Aufrufe hatte. Die Darstellung enthält eine verschwörungsideologische Bildsprache voller Symbole für Satanismus und Illuminaten sowie Pepe the frog. Die Karikatur zeigt den israelischen Premierminister Benjamin Netanjahu in Militärkleidung und den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Zelenskyj als Wolf mit Hörnern, die jeweils ein satanisches Abzeichen am Arm tragen. In gleicher Weise wurde in mehreren Beiträgen auf einem anderen Kanal die “Zerstörung des künstlich errichteten Staates Israel” proklamiert, der angeblich von Satanist:innen kontrolliert werde.
Verschwörungsideolog:innen versuchten also infolge des Israel-Hamas Konflikts, einschlägige Verschwörungserzählungen zu verbreiten, wobei ihre Reaktionen eine gemeinsame Linie vermissen ließen. Stattdessen brachten sie das für diese Accounts gängige tiefe Misstrauen gegenüber den öffentlichen Medien und der Bundesregierung zum Ausdruck.
Fazit
In dieser Analyse wurden extremistische und verschwörungsideologische Reaktionen auf den Israel-Hamas Konflikt quer durch das ideologische Spektrum in Deutschland untersucht. Sie hat gezeigt, dass eine Reihe von Extremist:innen in Deutschland die Krise nutzten, um die politische Debatte weiter zu spalten und Verschwörungserzählungen zu verbreiten, wobei sich die meisten Gruppen in ihrem Misstrauen gegenüber den Reaktionen der Regierung auf die Krise einig waren. Zu den Reaktionen gehörten die Darstellung Israels als “Unterdrücker” oder “Terrorstaat”, die Verurteilung der Verstöße Deutschlands gegen die Meinungs- und Versammlungsfreiheit sowie die angebliche Brutalität der Polizei und sogar die Behauptung, die Krise sei eine Operation unter falscher Flagge gewesen.
Footnotes
- ISD definiert Extremismus als ein Glaubenssystem, das die Überlegenheit und Dominanz einer auf Basis von Identität beschriebenen „In-Gruppe“ über alle „Out-Gruppen“ propagiert. Weiterhin propagiert es eine Weltsicht, die die Out-Gruppe dehumanisiert, was im starken Gegensatz zu einer pluralistischen Gesellschaft steht.
- ISD benutzt die Definition von Antisemitismus der International Holocaust Rememberance Alliance (IHRA). Mehr Informationen zu antisemitischen Onlinekommentaren infolge von Hamas‘ Angriff auf Israel finden Sie in diesem Digital Dispatch.
- Die ISD-Definition des Begriffs “rechtsextrem” steht im Einklang mit dem Rechtsextremismus-Experten Cas Mudde, der “rechtsextrem” als einen Oberbegriff versteht, der sowohl rechtsradikale als auch rechtsextreme Akteur:innen umfasst. Mudde stellt fest, dass sowohl rechtsradikale als auch rechtsextreme Akteur:innen glauben, dass “Ungleichheiten zwischen Menschen natürlich und positiv sind”, aber eine unterschiedliche Einstellung zur Demokratie haben. Rechtsradikale Akteur:innen seien nicht grundsätzlich gegen die Demokratie, während rechtsextreme Akteure die Demokratie als Regierungsform ablehnten.
- Es gibt keine einheitliche Definition von „Linksextremismus“, und die Forschung in diesem Feld ist nicht so fortgeschritten wie im Bereich Rechtsextremismus. Nach Mudde und dem Politikwissenschaftler Luke March sollte man zwischen linksextremen und linksradikalen Organisationen unterscheiden, wobei Letztere explizit demokratiefeindlich sind, und Erstere fundamentale politische und wirtschaftliche Veränderungen fordern, ohne dabei per se demokratiefeindlich zu sein.
- Der Berliner Verfassungsschutz hat diesen Sommer angefangen, Samidoun zu beobachten, und nannte es ein „Unterstützernetzwerk“ der PFLP. Aufgrund Samidouns‘ Verbindungen zur PFLP, einer marxistisch-leninistischen, sekulären Gruppierung, ist die Gruppe in diesem Abschnitt wiederzufinden.
- ISD definiert Islamismus als politische Ideologien, die islamische Symbole und Traditionen benutzen, um politische und soziale Ziele zu verfolgen.