Die Hydra im Netz: Herausforderung der extremistischen Nutzung des Fediverse am Beispiel PeerTube
Authors: Lea Gerster, Francesca Arcostanzo, Nestor Prieto-Chavana, Dominik Hammer & Christian Schwieter
Published: 19 December 2022
Seit der Veröffentlichung dieses Berichts hat Framasoft (die französische Non-Profit-Organisation, die PeerTube entwickelt) eine offizielle Stellungnahme zu den Ergebnissen unserer Studie abgegeben. Diese kann hier nachgelesen werden (in Englisch).
Dieser Bericht befasst sich mit der Nutzung der Freien Software PeerTube durch rechtsextreme und verschwörungsideologische Milieus im deutschen Sprachraum. Die Relevanz einer Forschung zu PeerTube wurde bereits durch Analysen im Bericht »Stützpfeiler Telegram« deutlich. Damals stieß das ISD-Forschungsteam auf mehrere Videoplattformen, die fast identische Layouts und Funktionen aufwiesen. Es stellte sich heraus, dass acht von 19 identifizierten Videoplattformen mithilfe der Freien Software PeerTube erstellt wurden.
Personen und Gruppen, deren Inhalte von etablierten Sozialen Netzwerken gesperrt wurden, können mithilfe von PeerTube eigene Videoarchive und Plattformen erstellen. Da es sich bei PeerTube um ein dezentrales Netzwerk aus separat verwalteten Servern handelt, hat niemand eine Vollmacht über alle Inhalte im Netzwerk. Alleine die Betreiber:innen der jeweiligen Server (genannt „Instanzen“) können die Inhalte dort moderieren. Da es sich bei PeerTube um Freie Software handelt, kann ihre Nutzung durch Rechtsextreme nicht verboten werden.
PeerTube gehört zum Fediverse, einer Ansammlung von Programmen, die zur Erstellung von eigenen Sozialen Netzwerken verwendet werden können. Durch ein gemeinsames Netzwerkprotokoll können Instanzen, auch wenn diese mit unterschiedlicher Software aufgesetzt wurden, miteinander kommunizieren. Dank dem Föderationssystem können sich Inhalte jenseits ihrer Hosting-Instanz verbreiten. Dies birgt Risiken, dass sich verfassungsfeindliche oder anderswertig gefährliche Inhalte auch außerhalb der Hosting-Instanz auffinden lassen.
Anhand von 34 PeerTube-Instanzen, welche in der verschwörungsideologisch bis rechtsextremen Szene verwendet wurden, führte das ISD Analysen zu deren Netzwerk sowie deren Nutzungsweisen durch. Die zentralen Befunde lauten wie folgt:
- Instanzen, die von rechtsextremen und verschwörungsideologischen Gruppen geführt werden, verbinden sich vor allem untereinander, sind jedoch durch einige hochvernetzte Server mit dem weiteren Fediverse verbunden.
- Eine Inhaltsanalyse ergab, dass die Covid-19-Pandemie besonders häufig auf den untersuchten Instanzen besprochen wurde. Ebenfalls häufige Themen waren angebliche Verschwörungen durch finstere Eliten, welche durch orchestrierte Krisen angeblich die Weltherrschaft anstreben.
- Zwar können Rechtsextreme und Verschwörungsideolog:innen nicht die gleichen Klickzahlen wie auf Plattformen wie YouTube generieren. PeerTube bietet aber eine wertvolle Methode zur Absicherung von extremistischen Inhalten, da Videos und Kanäle vollständig unter der Kontrolle des Server-Admins liegen.
- Die untersuchten Personen und Gruppen nutzen PeerTube auf verschiedene Art. Während einige ein eigenes Soziales Netzwerk aufbauen, wo Dritte sich registrieren und eigene Videos hochladen können, so schaffen andere Videoarchive oder ein Art Streaming-Dienst, wo nur ausgewählte Personen ihre Inhalte veröffentlichen dürfen. Diese verschiedenen Nutzungsweisen haben entsprechend unterschiedliche Implikationen für die mögliche Regulierung derartiger Inhalte.
Aufgrund der dezentraler Struktur des PeerTube-Netzwerkes können extremistische Inhalte dort nur bedingt durch staatliche Regulierung bekämpft werden. Jedoch bietet diese Herausforderung auch neue Möglichkeit zur Selbstregulierung durch die PeerTube-Community. Die Isolation der „alt-tech“ Plattform Gab durch die Fediverse-Community zeigte Wege, wie durch selbstregulatorische Maßnahmen die Reichweite von extremistischem Material verringert werden kann. Möglich wäre, dass die Zivilgesellschaft die PeerTube-Community z.B. durch Schulung beim Erkennen und Isolieren von extremistischen Inhalten unterstützt, und so gemeinsam mit der Fediverse-Community Best Practices entwickelt um gegen die extremistische Nutzung des Fediverse vorzugehen.
Herausgeberische Verantwortung: Huberta von Voss, Executive Director ISD Germany
Der vorliegende Bericht ist im Rahmen des vom Bundesministerium der Justiz (BMJ) geförderten Projektes »Radikalisierung in rechtsextremen Online-Subkulturen entgegentreten« entstanden. Die inhaltliche Verantwortung liegt ausschließlich bei ISD Germany.